Zukunft investieren

Seit über 10 Jahren bin ich Mitglied im Rat der Stadt Grevenbroich. Daher sage ich aus tiefster Überzeugung: die Gemeinden und Städte in Deutschland bilden das Fundament von Demokratie, Rechtstaat und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Aus diesen Gründen ist es von enormer Bedeutung starke Kommunen und Quartiere zu entwickeln. Zudem sind auch kommunale Unternehmen zentrale Infrastrukturdienstleister und wesentliche Impulsgeber für die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Stabilität in Deutschland und seinen Regionen. Als Arbeitgeber und Auftraggeber sorgen kommunale Unternehmen für starke wirtschaftliche Effekte: Sie sichern Arbeitsplätze für insgesamt 690.000 Menschen in Deutschland.
In den Kommunen spielt das Leben. Dort sieht man auch direkt, wenn sich der Staat aus der Verantwortung zurückziehen muss, weil das Geld fehlt. Kommunale Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen werden privatisiert, Schulen sind baufällig, Kindergartenkinder werden in Containern betreut, Straßen und Brücken sind marode, Schwimmbäder und Sporteinrichtungen werden geschlossen. Zudem fehlen tausende bezahlbare Wohnungen. Auch im Rhein-Kreis Neuss müssen bis 2030 5.000 öffentlich-geförderte Wohnungen gebaut werden.
136 Milliarden Investitionsrückstand
Die Corona-Krise hat massive Konsequenzen für die Haushalte unserer Städte und Gemeinden: auf der einen Seite brechen bei allen Steuerarten, vor allem der Gewerbesteuer, die Einnahmen weg, während gleichzeitig die Ausgaben für Sozialleistungen oder Gesundheitsschutz steigen. Aktuellen Berechnungen zufolge drohen den Kommunen Steuermindereinnahmen von rund 18 Milliarden Euro und zusätzliche Ausgaben von rund 6 Milliarden Euro. Denn geht es der Wirtschaft schlecht, brechen Gewerbesteuereinnahmen ein und die Kommunen müssen sparen. Das bedeutet konkret: Schwimmbäder, Jugendtreffs schließen, Neubau von Kitas und Radwegen werden unterlassen. Zudem bestand schon vor der Krise ein Investitionsrückstand von ca. 136 Mrd. EUR in den Städten und Gemeinden.
Wir müssen weg von der Denke, das Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Schwimmbäder, der Nahverkehr und weitere Einrichtungen des öffentlichen Daseinsvorsorge profitorientiert aufgestellt sein müssen. Zur Stärkung des Lebens in den Kommunen brauchen wir den Erlass der Altschulden, ein 100 Milliarden-Euro Investitionsprogramm für die nächsten zehn Jahre und einen Plan zur Rekommunalisierung der öffentliche Daseinsvorsorge.
Kommunen von Altschulden befreien
Insgesamt haben die Kommunen in Deutschland laut Informationen des Städtetags Altschulden in Höhe von 42 Milliarden Euro angehäuft. Viele Kommunen müssen daher jede Menge Geld für die Tilgung und Zinsen der Schulden aufbringen. Daraus folgt, das Investitionen in Infrastruktur ausgelassen werden. Und damit bleiben Investitionen in die Zukunft lebenswerter Städte und Gemeinden aus. Daher will Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Kommunen von den Altschulden entlasten. Damit sie wieder atmen können. CDU und CSU müssen dazu ihre Blockade endlich aufgeben.
Ein Jahrzehnt der Investitionen

Demografischer Wandel, Digitalisierung und die Sicherung einer nachhaltigen Infrastruktur und gleichwertiger Lebensverhältnisse – die Liste der Herausforderungen für Kommunen und Kommunalwirtschaft ließe sich noch vergrößern. Es ist dringend, die Kommunen und die kommunalen Unternehmen in die Lage zu versetzen, die erforderlichen Investitionen u. a. in Krankenhäuser, den Ausbau des Glasfasernetzes, Busse, Bahnen, Radwege, Schulen, Kitas, Schwimmbäder sowie den Wohnungsbau vornehmen zu können. Das sog. Kooperationsverbot, welches grundsätzliche direkte Investitionen verbietet, muss endgültig der Vergangenheit angehören. Der Bund soll die Möglichkeit bekommen dauerhaft in Kitas, Schulen, Horte und Berufsschulen investieren zu können. Zudem bedarf es eines kommunalen Zukunftsprogramms, welches in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden Euro für die Investitionen in kommunale Infrastruktur enthält.
Einen Fonds zur Rekommunalisierung
Es ist keine neue Erkenntnis, dass öffentliche Daseinsvorsorge und privatisierte Dienstleistungen entgegengesetzte Interessen verfolgen. Vor 20 Jahren war es „In“ alles zu privatisieren. So wurde in Grevenbroich der Bauhof privatisiert. Die Folge: steigende Kosten, weniger Leistungen und eine handlungsunfähige Stadt. Daraus hat man vor zwei Jahren gelernt und eine Anstalt des öffentlichen Rechts gebildet. Was bereits als „Rekommunalisierung“ im ÖPNV oder der Wasser- und Energieversorgung auf kommunaler Ebene begonnen hat, gilt es nun im großen Stil fortzusetzen. Mobilität, Gesundheit, Wasser und Wohnen sind Eckpfeiler der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie müssen in die starke Hand des solidarischen Staates zurückgeführt werden. Dazu bedarf es der Unterstützung des Bundes. Mit einem Fonds, der dabei die Kommunen unterstützt. Gerade jetzt müssen wir, wenn es um eine stärkere Rolle des Staates geht, weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge der Marktlogik entziehen und eine neue Debatte über die Zukunft des Wohlfahrtsstaats und der öffentliche Daseinsvorsorge zu führen.
Wirtschaft verändern

Deutschland droht den Anschluss zu anderen Staaten zu verlieren. Noch verdienen wir mit unseren Industrieprodukten Geld, aber das Wirtschaftswachstum sinkt dramatisch. Schwarzmaler gibt es genug und sie machen uns nicht stärker.
Wir erleben aktuell eine Beschleunigung von Globalisierung, eine Zunahme staatlicher Intervention und Abkehr von multilateralen Vereinbarungen. Auf diese Veränderungen muss Deutschland als erfolgreicher Industriestandort reagieren und neue Entwicklungen aktiv mitgestalten. Denn Deutschland kommt ins Hintertreffen, weil wir noch in der Ideologie des letzten Jahrtausends verhaftet sind. Wir glauben noch, dass Unternehmen alleine innovativ genug sein können, während die USA und China bereits staatliche Milliarden in Forschung und Innovation und Infrastruktur investieren. Mehrere hundert Milliarden Euro werden gerade durch den chinesischen Staat für die neue Seidenstraße aufgebracht, allein die Harvard Universität verfügt über einen jährlichen Etat von 4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Deutschlands erfolgreichste Uni, die LMU München hat nur 1,45 Milliarden Euro. Die deutsche Wirtschaft allein kann kein Rennen gegen die starken Teams aus Staat und Wirtschaft der konkurrierenden Weltmächte gewinnen, wenn wir sie alleine lassen. Heute gewinnen weder Unternehmen ohne Hilfe noch reine Staatsunternehmen.
Die Strategie für den heutigen Weltmarkt ist die strategische Kooperation von Politik, Industrie und Forschung. Deutschland ist mit gerade einmal 80 Millionen Einwohner:innen noch die viertstärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Um diese Position zu verteidigen, brauchen wir eine innovative Industrie- und Wirtschaftspolitik. Dazu bedarf es einer aktiven Politik und eines starken Staates. Einen Staat, der noch mehr in Bildung, Forschung, Infrastruktur und Innovationen investiert. Zwar sind unsere Investitionen in diesen Bereichen in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen, allerdings sind sie immer noch zu gering. Zu gering, um den Umbau der Wirtschaft zu einer ökologischen und nachhaltigen Industrie zu meistern. Denn die Investitionsquote in Deutschland liegt derzeit bei 2,1% des BIP. Das reicht nicht aus. Unser Land liegt damit unterhalb des OECD- und EU-Durchschnitts und deutlich hinter vergleichbaren Staaten, wie Frankreich, Österreich oder den skandinavischen Ländern. Bei Straßen, Brücken und Schienen, unseren Schulen und öffentlichen Gebäuden, beim Klimaschutz, der Digitalisierung und wirtschaftlichen Innovationen: überall ist unsere Investitionsschwäche und damit auch unsere Innovationsschwäche sichtbar.
Durch massive Investitionen in Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien wollen wir gemeinsam mit den europäischen Schlüsselindustrien nachhaltiger wirtschaften und produzieren. Treiben wir innovative Mobilität schneller voran und ebnen wir den Weg für eine konsequente Verkehrswende. Innovationen, die es in Deutschland bereits gibt, müssen wir schnellstens weiter erforschen und ausbauen, damit die heimische Industrie auch gegenüber großen Akteuren wie China wettbewerbsfähig bleibt. Weiterhin braucht es massive Investitionen in unsere Schieneninfrastruktur und in neue Züge. Wir bekennen uns klar zur heimischen Grundstoffindustrie und unseren industriellen Wertschöpfungsketten, wollen aber auch eine Vorbildfunktion gegenüber anderen Regionen der Erde einnehmen.
Chancen nutzen
Grevenbroich, Dormagen, Neuss und Rommerskirchen liegen im Kern des Rheinischen Braunkohlerevier. Mit seinen vielfältigen Industrie- und Gewerbeunternehmen gehört unsere Region zu den stärksten Wirtschaftsstandorten Deutschlands. Wenn dies beachtet wird, können mit einem Strukturwandel auch Zukunftschancen verbunden werden.
Wir begreifen den technischen Fortschritt nicht als Bedrohung, die man bremsen oder aufhalten soll. Wir wollen den Wandel egal ob er durch Energiewende oder Digitalisierung getrieben ist gestalten, so dass wir weiter Produktionsstandort für Produkte und Dienstleistungen des 21. Jahrhunderts sein können. Wir achten dabei darauf, dass jede und jeder seine Chance bekommt und niemand im Strukturwandel einfach ins Bergfreie fällt. Wir trennen nicht zwischen Old- und New-Economy sondern wir arbeiten daran, wie unsere Wertschöpfungsketten ins 21. Jahrhundert weiter geführt werden. Und uns ist wichtig, dass der Wohlstand, der aus technischen Fortschritt entsteht auch gerecht verteilt wird.
Strukturwandel heißt für uns nicht, dass industrielle Strukturen abgebaut, sondern dass diese weiterentwickelt werden, um gute und tariflich abgesicherte Arbeitsplätze zu erhalten. Bund und Land müssen hierfür langfristige und auskömmliche Investitionen bereitstellen, die ein regionales Wirtschaftswachstum ermöglichen.
Das Rheinische Revier hat die große Chance, den anstehenden Strukturwandel nun so zu gestalten, dass es sich ausgehend von seinen Stärken und Traditionen als die Energieregion der Zukunft positioniert. In dieser Region kann das Zusammenspiel einer nachhaltigen Energieerzeugung mit den Erfordernissen und Möglichkeiten einer energieintensiven Industrie erfolgreich erprobt und in großem Maßstab umgesetzt werden. Dazu bedarf es großer Anstrengungen, sowohl bei Forschung und Entwicklung, dem Rück- und Umbau von konventioneller Energieinfrastruktur, der Erschließung geeigneter Flächen, dem Umbau der Verkehrsinfrastruktur wie auch in den Produktionsprozessen und Geschäftsmodellen von Industriebetrieben. Nicht zuletzt die Lebensqualität in der vom Tagebau geprägten Region erfordert bei der Rekultivierung, aber auch bei der Erschließung von Tourismuspotenzialen, der Bewahrung von Industriekultur und guten Wohn- und Siedlungsbedingungen für attraktive Dörfer und Städte umfassende Maßnahmen und abgestimmte Strategien der betroffenen Kommunen.
Historisch und strukturell ist das Ende der Braunkohleverstromung ein Bruch für die Region und die Menschen, die hier leben und in der Kohleverstromung über Generationen verwurzelt sind. Es ist aber auch eine große Chance, Forschung, Gewerbe und Industrie von morgen zu uns zu holen. Lasst uns gemeinsam die Chance ergreifen.