Silvester, Karneval, Wellnessurlaub, Besuche in Restaurants, zahlreiche politische Veranstaltungen. Vor wenigen Wochen noch normaler Alltag bei mir. Das Coronavirus kannte man noch nicht bzw. war in weiter Ferne. Heute bestimmt es unseren Alltag. Quarantäne, Soziale Distanz, Homeoffice, Sorge um die Gesundheit von Eltern und Freunden, Sorge vor dem Verlust der Arbeitsplatzes. Das sind nur einige Schlagwörter in der aktuellen Lage. Die heutige Situation ist einmalig. Es ist schwer vorherzusehen, welchen Verlauf die Pandemie und deren Folgen noch nehmen werden. Wir durchleben eine gleichzeitige Krise der öffentlichen Gesundheit, der Realwirtschaft und der Finanzmärkte. Eine globale Krise und Herausforderung. Einen Vergleich zur Finanz- und Eurokrise, da die Realwirtschaft damals nur indirekt betroffen war, passt nicht.
Wie notwendig sind neue Schulden?
Deutschland verschuldet sich in diesem Jahr mit 156 Milliarden Euro. Eine große Summe. Unvorstellbar groß. Wer hätte das vor wenigen Wochen gedacht? Im letzten Jahr führten wir in der SPD im Rahmen des internen Wahlkampfes um die Parteispitze eine Diskussionen: Schwarze Null vs. neue Schulden für Zukunftsinvestitionen. Auch wenn ich in der Stichwahl um den Parteivorsitz Klara Geywitz und Olaf Scholz unterstützt habe, war ich nie der Auffassung gewesen, die sog. schwarze Null als ökonomisch sinnvoll zu betrachten. Und das sage ich als Vertreter einer Generation, die die Schulden bezahlen muss. Ich war und bin der festen Überzeugung: Wenn wir die Zukunftsinvestitionen jetzt unterlassen, ist das eine viel größere Belastung für künftige Generationen und meine Generation, als die Infragestellung der „schwarzen Null“ in Zeiten negativer Zinsen.
156 Milliarden Euro neue Schulden wird der Bund in diesem Jahr über Staatsanleihen aufnehmen, um die Corona-Pandemie aus gesundheitlicher und wirtschaftlicher Sicht einzudämmen. Zudem wird es 400 Milliarden Euro Garantien des Staates, 100 Milliarden Euro Kredit an die Förderbank KfW und Kreditermächtigung in Höhe von 100 Milliarden Euro für direkte Rekapitalisierungsmaßnahmen geben. Damit sind schon jetzt mehr neue Schulden geplant als in Zeiten der Finanz- und Bankenkrise 2008/2009. Vielleicht ist das erst der Anfang der Aufnahme neuer Schulden. Wie lange das Cornavirus die wirtschaftliche Aktivität in unserem Land noch einschränkt, ist offen. Aktuell darf es allerdings nicht um wirtschaftliche Interessen gehen. Der Schutz der Gesundheit steht im Vordergrund.
Kann der Staat sich den Rettungsschirm leisten?
Beunruhigt mich die aktuelle Situation? Ja, aus medizinischen und gesundheitlichen Gründen. Ja, wenn ich die wirtschaftlichen Sorgen von Beschäftigten, Solo-Selbstständigen und Betrieben sehe. Aus finanziellen Gründen für den Staat? Nur bedingt. Wieso? Deutschland steht derzeit finanziell solide da. Deutschland hat eine enorme finanzielle wirtschaftliche Kraft und Stärke. Der nominale Schuldenstand des Bundes lag im Jahr 2019 unter 60 Prozent des BIP. Aufgrund der Niedrigzinsen der vergangenen zehn Jahre ergibt dies eine sehr geringe Schuldenlast im Vergleich zu anderen Staaten. Japan 237 Prozent des BIP, Italien 131 Prozent des BIP, Frankreich 96 Prozent des BIP, USA 80 Prozent des BIP.
Die soliden Finanzen Deutschlands werde dazu führen, das Bundesanleihen weiterhin als sicher wahrgenommen werden. Das ist in dieser Krise sehr wichtig. Deutschland bekommt aktuell für 1 Euro Schuldenaufnahme, 1,41 Euro zurück. Anleger, die dem Staat 1000 Euro leihen, müssen bei drei Jahren Leihfrist 7,40 Euro für jedes Jahr draufzahlen. Selbst wer dem Staat einen Kredit über zehn Jahre gibt, zahlt der Anleger 2,90 Euro pro Jahr.
Schulden sind aktuell nicht teuer
Aus ökonomischer Sicht ist die Ausgangslage zum Schuldenmachen günstig. Aus persönlicher Sicht hätte ich mir eine Abkehr von der schwarzen Null aus anderen Gründen gewünscht. Die Zinsen auf Staatsanleihen in Deutschland und Europa waren im Februar 2020 auf dem niedrigsten Stand seit sehr langer Zeit. Hinzu kommt, das die großen Zentralbanken die Zinsen vermutlich weiterhin für eine sehr langen Zeitraum bei null bzw. auf niedrigem Niveau belassen werden. Eine Zinswende scheint aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich. Dafür spricht auch die Finanzkrise von 2008 bis 2012. Deutschland lieh sich in dieser Zeit insgesamt 900 Milliarden Euro über Staatsanleihen. Die Neuverschuldung stieg um 130 Milliarden Euro, die Gesamtverschuldung von 67 auf 79 Prozent des BIP. Im selben Zeitraum sank jedoch der langfristige Zinssatz von 4 Prozent auf 1,5 Prozent. Warum? Die deutschen Staatsanleihen galten damals schon für Anleger als sichere Geldanlage.
Eine massive Steigerung der Staatsverschuldung ist in der Geschichte wiederholt vorgekommen. Steigende Zinsen sind nicht eine unbedingte Folge. Deutschland muss sich so oder so in dieser Situation den Schutzschirm für die Gesundheit, die Beschäftigten und die Unternehmen leisten. Erfreulich ist in der Krise: Deutschland kann sich den Schutzschirm leisten. Deutschland kann sich auch eine Ausweitung des Schutzschirmes leisten. Ob das auf Dauer so bleibt und die Zinsen für die Staatsverschuldung negativ oder gering bleiben, wird durch stringentes und international koordiniertes Handeln entschieden. Europa ist gefordert. Die G7 bzw. die G20 sind gefordert.
Dazu mehr im nächsten Blog in zwei Wochen. Stay at home. Bleibt gesund.